Hexenverfolgung in Wurmlingen

Ende des 15. Jahrhunderts veränderte sich in Europa das Klima. Es kam zu Missernten, Preisanstieg und Armut. Die Menschen wurden anfälliger für Seuchen wie die Pest, die Sterblichkeit stieg. Die Zeitgenossen konnten sich diese Phänomene nicht erklären, wussten nicht, dass sich das abzeichnet, was Forscher heute die Kleine Eiszeit nennen. Viele glaubten, dass ein Schadenzauber dahinterstecke.

Dillinger erklärt, „Hexenverfolgungen erwuchsen aus einem jeweils zeit- und ortsspezifischen komplexen Netz von politischen, rechtlichen, ökonomischen und sozialen Bedingungen. Vor Ort, in der Interaktion zwischen Gerichtsherr und Bevölkerung entstand im Rahmen der lokalen Bedürfnisse und Möglichkeiten ein Hexenglaube und eine Verfolgungspraxis, für die die dämonische Lehre nur einer von vielen Einflüssen war.“[1]

Gerade in krisenanfälligen Weinanbaugebieten (und damit auch in Wurmlingen und Hirschau) häuften sich Hexenprozesse phasenweise. Für die Herrschaft Hohenberg ist belegt, dass Hexenprozesse von der Bevölkerung immer dann gefordert wurden, wenn aufgrund schlechter Witterungsbedingungen Missernten drohten.[2]

Besonders der Kaplan der Ravensburger Liebfrauenkirche, Johannes Gremper, trug zur Hysterisierung in Oberschwaben bzw. der Landvogtei Schwaben wesentlich bei, als er 1484 jenen Mann nach Ravensburg holte, der in Hexenprozessen als besonders erfahren galt: den päpstlichen Inquisitor Heinrich Kramer, der auch unter seinem latinisierten Namen Henricus Institoris bekannt ist. Kramer predigte in der Liebfrauenkirche und forderte die Ravensburger auf, zu ihm zu kommen und der Hexerei verdächtigte, übel beleumundete Personen anzuzeigen.

Und die Aufforderung zur Denunziation funktioniert: Sechs Frauen wurden unter dem Verdacht der Hexerei festgesetzt.

Die Beschuldigten mussten sich ausziehen und wurden am ganzen Körper rasiert, damit die „Teufelsmale“ sichtbar werden sollten. Anschließend wurden sie an einer Art Galgen[3] aufgehängt und malträtiert. Zwei ledige Frauen ohne Familie, Agnes Bader und Anna Mindelheimer, gestanden unter Folter alle ihnen zur Last gelegten Verbrechen.

Gemeinhin handelte es sich hier um folgende Vergehen: Hexentanz, Hexenflug, Buhlen mit dem Bösen, Verleugnung Gottes und der Heiligen, Schädigung von Vieh und Leuten oder Gewittermachen bzw. Wetterzauber, Bestreichen von Mensch oder Vieh mit Hexensalbe und ähnliches.

Bader und Mindelheimer wurden auf dem Scheiterhaufen auf der Kuppelnau verbrannt. Die übrigen Beklagten hatten mehr Glück: Ihre Familien zahlten für die Freilassung ihrer Mütter und Ehefrauen.

Für diese „erfolgreiche“ Hexenverfolgung erhielten sowohl der Ravensburger Kaplan als auch der Abt von Weingarten 1484 eine päpstliche Anerkennung in Form eines Ablasses zugunsten das Heilig-Geist-Spitals und der Pfarrkirche St. Jodok, der bares Geld war.

Die Gebrauchsanweisung zur Hexenverfolgung lieferte Heinrich Kramer mit seinem 1486 verfassten Buch „Malleus Maleficarum“ („Der Hexenhammer“). Einige der Prozesse, die er beschreibt, hatte Kramer zwei Jahre zuvor selbst in Ravensburg geführt. In der Folgezeit kam es zu einer Welle der Verfolgung in Oberschwaben und im Allgäu. Der „Inquisitor für ganz Süddeutschland“, so Kramers offizieller Titel, brüstet sich im „Hexenhammer“, dass in den vier Jahren zwischen 1481 und 1485 in der Diözese Konstanz des Bischofs Otto Truchsess von Waldburg-Sonnenberg 48 Frauen als Hexen verbrannt wurden. Behringer schreibt: „Nicht weniger als 22 Exempel im ,Hexenhammer’ beziehen sich auf Orte dieser Diözese, weit mehr als auf die anderen acht erwähnten.“[4] Genannt werden Prozesse von Frauen aus Lindau, Meersburg und Iznang. „Im Allgäu und Oberschwaben muss man von einer Verfolgungswelle sprechen. Das macht auch verständlich, warum man noch im frühen 16. Jahrhundert in ganz Süddeutschland von dort die Scharfrichter für die Hexenprozesse bezog.“[5]

Gefragt waren die Henker aus Saulgau und Waldsee. Und noch bei einem der ersten Prozesse, die zu schrecklichen Hexenverfolgungen in der Fürstprobstei Ellwangen fast ein Jahrhundert später führten, holte man sich einen erfahrenen Henker und Folterer aus Biberach.

Grundlage auch späterer Prozesse war also dieses verhängnisvolle Buch. Bis 1523 dürften schon 100 000 Exemplare des ‚Malleus Maleficarum‘ gedruckt worden sein, vermutet Behringer. Bis 1669 hat es 30 Auflagen erfahren – ein Bestseller. „Malleus Maleficarum“ ist das Werk eines Psychopathen. Auch darüber ist sich die Forschung einig. Doch je länger man sich mit dem Thema beschäftigt, umso deutlicher wird: Vieles ist noch unklar. Es gilt allerdings laut Lorenz mittlerweile als gesichert, „dass der Hexenglauben in der Schweiz seinen Anfang fand und von hier aus über den deutschsprachigen Südwesten ins Reich einsickerte – und mit ihm die gerichtliche Verfolgung der Hexen.“[6]

Eindeutige Opfer- oder Täterprofile lassen sich oft nicht erkennen, Generalisierungen sind unzulässig. Ob in Immenstaad oder Ravensburg, Meersburg oder Lindau – überall liegen die Fälle anders. Warum aber konnte dieses Werk so eine solche Wirkung entfalten? Die Historiker sind sich einig, es hatte den Nerv der Zeit getroffen. Kriege, Chaos, Krankheiten und Katastrophen waren der Nährboden für Hexenwahn und Hexenverfolgung. Auch die Klimaveränderung spielte eine Rolle: Für Dinge, die sich die Menschen nicht erklären konnten, wurden Ursachen und Verantwortliche gesucht. Der Glaube an Magie und Zauberei war selbstverständlich. Schon der Ausbruch der Pest in Europa nach 1348 hatte die Angst vor Zauberei und Magie markant gesteigert. Gleichzeitig entstand die neue Vorstellung, dass Zauberei auf einem Pakt mit dem Teufel beruhe. „Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zeigen sich […] alle sozialen Schichten von der Vorstellung durchdrungen, dass es Hexen und Hexer gäbe, und dass ihr unheilvolles, gegen Mensch und Tier gerichtetes Treiben mit der Todesstrafe zu ahnden sei.[7]

Dass ganz überwiegend Frauen zum Opfer dieses Wahns wurden, lässt sich mit der schon aus der Bibel herrührenden Frauenfeindlichkeit im Christentum sowie dem Frauenbild des ausgehenden Mittelalters begründen. Die Denunziation kann Folge des Aberglaubens sein, aber eben auch als Herrschaftsinstrument benutzt werden. In Reutlingen beispielsweise wurde ein Hexenprozess geführt, um die Bürgermeisterwahl zu gewinnen. Beispiellos ist der Fall Ellwangen: Dort fielen in mehreren Prozesslawinen (1588 – 1611) 430 Menschen dem Hexenwahn zum Opfer. Ganze Familien wurden ausgerottet. Vermutlich hat sich die Regierung der Fürstprobstei auf diese Weise bereichert: Verfolgung zur Geldschöpfung.

Die Initiative zur Hexenverfolgung ging von der Kirche aus. Für die Ausführung benutzte sie die kommunalen oder territorialen Instanzen: Bürgermeister, Rat, Vogt, Gericht. Das Perfide an Heinrich Kramers „Hexenhammer“ bestand darin, ein wirres Konglomerat des Aberglaubens in die Form eines Gesetzbuches zu bringen. 40.000 bis 60.000 Menschen, meist Frauen, sollen dem europäischen Hexenwahn bis ins 18. Jahrhundert zum Opfer gefallen sein.

Die Prozessunterlagen aus Rottenburg dokumentieren die meisten Fälle von Hexenverfolgung für die Jahre 1600 und 1601, als der Katholizismus vollen Feuereifer zeigte. Eingeleitet wurden die Verfahren von hohenbergischen Beamten, den sogenannten Offizialklägern, nachdem sich Gerüchte gegen bestimmte Personen verdichtet hatten.[8] Dillinger nennt als wichtigstes Kontrollorgan der Hexenprozesse „die Innsbrucker Regierung in ihrer Funktion als Justizaufsichtsbehörde. Theoretisch konnten sich alle Ortsbeamten mit Anfragen ebenso wie alle Prozessbeteiligten mit Beschwerde an die Tiroler Regierungsräte wenden.“[9] Er merkt an, dass die vorderösterreichische Regierung diesen Prozessen distanziert gegenüberstand und keinesfalls als treibende Kraft angesehen werden kann[10] und führt aus, dass die Ursache hierfür „in ihrer strikten Orientierung an der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. (‚Carolina‘) aus dem Jahr 1532 zu sehen“[11] sei. Außerdem weicht „die Beschreibung des Magiedelikts in der ‚Carolina‘ […] von der dämonologischen Definition der Hexerei, wie sie der ‚Maleus maleficarum‘ verbreitete, deutlich ab. Das Gesetz Karls V. fragte nicht nach Kontakt mit Dämonen, sondern nach Zauberei. Als Beweismittel traten damit materielle Indizien und Äußerungen der Beklagten selbst“[12] in den Fokus. Ausschlaggebend war also nicht ein durch die Folter erzwungenes Geständnis oder die Denunziation vermeintlicher Mittäter(innen), sondern nur die zuvor erfolgte Drohung mit Magie oder das Angebot, andere in die Geheimnisse der Zauberei einzuweihen. Vor Gericht waren somit Gerüchte in Bezug auf Hexerei nur in Verbindung mit diesen o.g. Indizien relevant. Die Todesstrafe sollte ausdrücklich nur im Falle einer nachgewiesenen schädigenden Magie verhängt werden.[13] In der Praxis setzte sich allerdings bereits in den 1530er Jahren durch, das dämonologische Konstrukt des Hexensabbats in die Verhöre einzubauen.

Andererseits gab es auch Kritik an der Hexenverfolgung. Der Jesuit Adam Tanner beispielsweise vertrat die Auffassung, das Hexereigerüchte oder der schlechte Ruf einer Angeklagten keinen Beweiswert hätten und Denunziationen angeblicher Mittäter mit besonderer Vorsicht zu behandeln seien. Die Folter hielt Tanner nur in Ausnahmefällen für gerechtfertigt, etwa wenn Denunziation und Sachbeweise detailliert übereinstimmten.[14]

Schon am 12. Juli 1583 hatte man in Rottenburg 12 Frauen verbrannt, und am 7. April 1585 weitere neun. Auch 1595 hatte es mindestens zehn Prozesse und acht daraus resultierende Hinrichtungen gegeben. Im Mai notierte der Chronist Martin Crusius verdrossen: „Heute wurden in Rottenburg zehn Hexen verbrannt. Ich hatte deshalb in meiner Thukydides-Vorlesung nur wenige Hörer.“ Das Spektakel lockte die Tübinger Studiosi mehr. „Die Anzahl der Hexen wurde schließlich so groß, daß der Stadtrat anfing müde zu werden, solche Leute zu justifiziren, sorgend, daß, wenn man weiter fortfahren sollte, fast keine Weiber mehr übrig bleiben sollten. So weit“, schreibt der Barfüßermönch Malachius Tschamser, „kam die teuflische Bosheit bei diesen leichtgläubigen Leuten.“[15]

Rottenburg hatte um 1600 etwa 2750 Einwohner und war geprägt vom Weinbau. Die Wengerter der benachbarten Dörfer, die meist der unteren sozialen Schicht angehörten, waren für den Verkauf ihrer Produkte auf den Markt der Stadt angewiesen. Sie waren laut Weik „zusammen mit den Angehörigen der städtischen Unter- und unteren Mittelschicht […] die treibende Kraft der Hexenprozesse.“[16]

Wetterschäden und Erntekrisen konnten mittels Hexerei gedeutet werden. „Von den Fähigkeiten, die die Dämonologie den Hexen zugesprochen hatte, scheint der Wetterzauber von der Bevölkerung als am bedrohlichsten empfunden worden zu sein. “[17] Wetter- oder Schadenszauber waren für sie besonders bedrohlich, da der Weinbau witterungsabhängig war und schlechte Ernten – wie nach einigen schweren Unwettern in den 1580er Jahren – ihre Existenz bedrohten bzw. sie noch weiter verarmen ließen. Andererseits führte das zwischenzeitliche Überangebot nach besonders guten Jahren zu einem Preisverfall. „Kleine Weinbauern waren nicht in der Lage, in guten Jahren einige Fässer zurückzuhalten, um Missernten überbrücke zu können. Sie waren auf den Verkauf ihres gesamten Weins angewiesen, um Missernten überbrücken zu können. Sie waren auf den Verkauf ihres gesamten gekelterten Weins angewiesen […].“[18]

Die daraus resultierenden Spannungen „entluden sich in den Hexenprozessen zwischen 1595 und 1609, auch wenn diese nicht ihre direkte Ursache darin hatten.“[19] Besonders zwischen 1584 und 1610 betrachteten die Menschen Missgeschicke, Krankheiten und Unfälle, überraschende Todesfälle oder solche nach langer Krankheit, Unwetter sowie Schäden oder Mängel als Hexenwerk.“[20]

Um war nun 1600 der Preisverfall des Weins weit fortgeschritten, die Konkurrenz billigerer und besserer Weine aus dem Elsaß war groß und gleichzeitig breitete sich eine Inflation aus, die die Armen besonders traf. Für 1600 und 1601 sind in Rottenburg 17 Hinrichtungen bezeugt.[21]

Crusius berichtet von neun am 12. Juli 1600 in Rottenburg als Hexen enthaupteten und verbrannten Frauen, von denen die meisten aus Hirschau stammten. Auch für Wurmlingen oder Wendelsheim sind Fälle von Hexenverfolgung belegt, während in Tübingen Frauen eher selten als Hexen verfolgt wurden. Die Consilien weisen als Quelle der „peinlichen Gerichtsbarkeit“ in 140 Jahren nur drei Fälle von Hexerei aus, die mit Enthaupten, Verbrennen oder der „Stellung unter geistliche Aufsicht“ bestraft wurden, was darin zu begründen ist, dass sich die Tübinger Rechtsgelehrten als vernunftbegabte, fortschrittliche Ratgeber im Kampf gegen den Irrglauben der christlichen Inquisition und des Hexenwahns hervorgetan hatten. Johannes Kepler befreite mithilfe seiner klugen Tübinger Juristenfreunde die eigene Mutter von dem schlimmen Verdacht, mit dem Teufel im Bund zu stehen.

Die Betroffenen entstammten meist der bäuerlichen Unterschicht und waren „in nicht selbstverschuldeter Bildungsarmut, im schlimmsten Falle Wesen naiver Hilflosigkeit“, selbst abergläubisch und gleichzeitig „Opfer emotionalen, krausen Fantasiedenkens und Wunderglaubens“[22] und weil leichtgläubig problemlos zu unterwerfen. Auch gesellschaftliche Randfiguren (Kriminelle, Fremde und Nichtseßhafte sowie „Reingeschmeckte“) waren nicht sicher vor Verfolgung. Dillinger spricht von einem Muster, das sich immer wieder beobachten lässt: „Hexereiverdacht richtete sich häufig gegen Straftäter oder zumindest gegen Personen, die als kriminell verschrien waren.“[23] Dass mittels Magie Diebstahl oder ein anderes Verbrechen begangen worden sei, der Vorwurf der Hexerei stand unverbunden neben einer strafrechtlichen Klage.[24] Die Kombination von Kriminalität und Hexerei machte den Vorwurf der Hexerei plausibel. Heinrich Institoris hatte in seinem Hexenhammer bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass gerade Frauen, die durch mangelnden Glauben, Wollust oder besonderen Ehrgeiz auffielen, oder arme Frauen, besonders anfällig für Hexerei seien. Vermeintliche Hexen entstammten einem Lebensumfeld oder zeigten Verhaltensweisen, die von ihrem sozialen Umfeld teilweise als Anzeichen ihrer Schlechtigkeit, ihrer vermeintlichen Nähe zum Teufel gedeutet wurden. Es lag also näher, einer Verbrecherin einen Pakt mit dem Teufel zu unterstellen, als einer gänzlich unbescholtenen Person.[25]

Die typischen Vorstellungsinhalte und Verfahrensmuster, in der Gerichtspraxis der Hexenverfolgungen Gemeinplatz und in allen Köpfen verankert, waren selbst den einfältigsten Wurmlingern bekannt (so z.B. die den Opfern unterstellten Malefizien[26]). Die in Wurmlingen diskriminierten hilflosen Personen, die sich den Anschuldigungen allein aus Verdächtigungen und böswilliger Verleumdung nicht erwehren konnten, scheinen nicht über genügend finanzielle Mittel verfügt zu haben – von familiären Bindungen ganz abgesehen – um sich der Anklage ihrer Verfolger durch Flucht entziehen oder sich gar loskaufen zu können. Unabhängig von der Standeszugehörigkeit war ohnehin niemand vor den so genannten Hexenfängern sicher. Den prozessführenden Verfolgern waren diffamierte Opfer gnadenlos und ohne Möglichkeit der Verteidigung ausgeliefert (ein kaiserlicher Notar als Verteidiger war eher selten), ihre Position war schwach, und ihre normierten Verhaltensmuster lassen sich in Anbetracht ihrer untergeordneten sozialen Stellung verstehen.

Die Urgichten-Protokolle[27] der Hexenverfolgungen des 16. und 17. Jahrhunderts weisen für Wurmlingen keine eigentlichen Hexenfänger auf. In den Protokollen aus Rottenburg zeigt sich aber, dass Stadträte und sogar Stadtschreiber, also auch einfache Verwaltungspersonen ohne jegliche juristische Kompetenz, als Richter im Stadtgericht agierten und damit „zu Gärtnern gemachte Böcke“[28] waren, die unreflektierte Urteile nach gängigen Denkschablonen fällten.

Hexenprozesse verliefen in Hohenberg ohne aktive inquisitorische Teilnahme der katholischen Kirche. Es galt die seit 1534 normativ-verbindliche Rechtsordnung Vorderösterreichs (Constitutio Criminalis Caroli oder Carolina). Die eigentlichen (weltlichen) Verfolger standen in den Reihen der Verfolgten selbst und griffen in ihrer existentiellen Not zu allen verfügbaren Mitteln, besonders zur Verleumdung („Besagung“).

Um weiterer Verfolgung und Folterqualen zu entgehen und um das eigene Leben zu retten, bezichtigten die vor Gericht stehenden Opfer nicht nur sich selbst, sondern auch weitere Personen und lieferten damit den Schergen noch mehr Unschuldige aus: unliebsame und selbst unverfängliche Nachbarn wurden verdächtigt und bezichtigt, vor allem wenn bereits eine negative Gefühlskonstellation bestand. Denunzierungen waren somit an der Tagesordnung – allmählich fingen die fatalen Wirkungskräfte des Hexenwahns an zu greifen und setzten einen Teufelskreis aus Anklage, Prozess, Denunziation und erneuter Anklage in Gang.

Für Hirschau ist der Fall der Witwe Jakob Ehingers, Katharina, bekannt, der vorgeworfen wurde, mit ihrem Mann uneins gewesen zu sein: bei der peinlichen Befragung (Folter) am 11. Juli 1601 gab sie an, der böse Geist habe ihr braunes Pulver gegeben, das sie ihrem Ehemann in die Suppe getan habe. Noch zu Lebzeiten ihres Mannes sei sie auf einer Ofengabel zum Nunebirnbaum zum Tanz geführt worden, und auch auf dem Spitzberg sei sie beim Tanz gewesen. Der Amtmann Andreas Laux, Ulrich Gemperlin und Bartel Letzgüs verhörten am 9. Juli 1601 außerdem die Witwe des Gilg Wolschiessen, die ihres Mannes, eines Zecher und Geldverschwenders, überdrüssig gewesen sein soll, und als ihr (toter) Gilg ihr auf dem Weg in ihren Weingarten begegnete, habe er ihr ein schwarzes Pulver überreicht, um ihr Schwein damit umzubringen. Zwei Wochen später habe er sie zum Tanz beim Nunenbirnbaum geführt, wo sie an einem Tisch gezecht und aus einem silbernen Becher roten und weißen Wein getrunken habe, während ein Geiger und ein Pfeifer spielten. Mit dem bösen Geist sei sie bereits zwei Jahre zuvor beim Tanz auf dem Spitzberg gewesen, wo es Wein und Gebratenes, aber weder Brot noch Salz gegeben habe. Und auch die ledige Köchin Adelheid wurde am 14. Juli 1601 einem Verhör unterzogen, wobei sie angab, sie habe vor etlichen Jahren dem Gilg (Barthelmes) Zimmermann gedient. Damals sei der böse Geist, Fritzlin geheißen, nachts in einem schwarzen Kleid in ihr Bett gekommen und wollte sie beschlafen, was sie verweigert habe. Neun Wochen später sei er ihr im Birkeley begegnet und kurz darauf habe sie ihn noch in ihres Meisters Garten bei der Liebfrauenkapelle getroffen, wo sie schließlich seinem Willen gehorchte. Er sei kalter Natur gewesen und habe Gott verleugnet. Auf einem haarigen Tier sei sie zum Nunenbaum geführt worden, wo ein reich gedeckter Tisch mit Wein und Silbergeschirr gestanden habe. Ein Geiger, ein Pfeifer und ein Spielmann seien anwesend gewesen.[29]

Die in Hirschau ansässige Ursula Wollschieß, die sich vom Betteln ernährte, vertrieben die Hirschauer Bauern 1601 aus dem Dorf und zeigten sie in Rottenburg als Hexe an.[30] Während einer Visitation in Rottenburg untersuchten die kaiserlichen Räte Christoff Franz von Wolkenstein (Rottweil) und Adam Keller (Nellenburg) in Rottenburg zu Beginn des Jahres 1607, ob in den Hexenprozessen Besagungen gegen bestimmte Personen erpresst worden waren. Außerdem sollte ermittelt werden, unter welchen Umständen eine Anna Haug im Gefängnis (in Horb?) verhungert war.

Unter den Wurmlinger Frauen, die sich dem Vorwurf der Hexerei ausgesetzt sahen, war die am 8. Oktober 1600 verurteilte Dienstmagd Anna Mauzin aus Gomaringen, „ledige[n] standt[s]“[31]. Als einfaches Mädchen, „sozial gesehen eine Paria-Figur [war Anna] im Spannungsfeld ihres Dienstverhältnisses jenen typischen Schwierigkeiten ausgesetzt, wie sie sich häufig zwischen Dienstherrschaft und Gesinde“[32] entwickelten und als „Reingeschmeckte“ war sie darüber hinaus zweifellos eher unreflektierten Verdächtigungen ausgesetzt als heimische Mädchen.[33] Anna wurde zur Last gelegt, die an der Ammer gelegene Scheune ihres Dienstherrn, des Müllers Marx (Markus) Merk, in Brand gesetzt zu haben – was sie auch gestand. Das Verfahren wegen Brandstiftung verlief zu ihren Ungunsten, schnell sah sie sich dem Vorwurf der Hexerei ausgesetzt. Anna beschuldigte nun unter der Folter ihrerseits die etwas sonderbare, 40jährige Anna Kreglin aus Wurmlingen. Die Richter wussten bereits, was sie im schematisierten Prozessverlauf an weiteren Aussagen zu erwarten hatten, ja sie kannten bereits den Ausgang des Verfahrens.

Zu den Details in Anna Mauzins Aussage zählt der Hexenritt auf einer präparierten Gabel in Richtung „Flachenberg“ (Heuberg bei Wendelsheim oder Filsenberg), dazu zählt auch das Treffen von anderen Hexen und dem Teufel, vor allem auch deren Teilnahme am Zechgelage des Hexensabbats, einem Bankett typischerweise „ohne Brot und Salz“ entsprechend dem in Hohenberg verbreiteten, in Urgichten immer wieder auftretenden Motiv. Selbstverständlich fehlte darin nicht die eigentliche Teufelsbuhlschaft: Anna gestand „[…] sie sey mit ir [Anna Kreglin] zum Laden hinausgefahren auf den flachenberg, daselbst viel weiber gewesen vnd gezecht Wein aber kein brod, silberbecher gehabt, ir die K. [Kreglin] versprochen, woll ein hipschen buolen verschaffen […].“[34]

Stand ein(e) Angeklagte(r) also erst einmal als Hexe(r) vor Gericht und machte in der Urgicht Aussagen, so erwiesen sich diese meist als rein aus Volkssagen und Fabeln entliehene Elemente. Die mutmaßliche Hexe (in den allermeisten Fällen handelte es sich bei den Opfern ja um Frauen) gestand die Bindung an einen Dämon, und unter den Qualen der Folter und in Todesangst auch die Unterstellung des gesamten diabolischen Initiierungsprozesses, wobei sie einen Akt der Beschlafung durch den Teufel zugab sowie einen Ritt auf der geschmierten Ofengabel, einem Geschenk des Teufels, und auch den Hexentanz auf dem Heuberg, an dem auch Anna Kreglin teilgenommen habe; nach traditionellen Vorstellungen waren dies Zeugnisse ihrer dem Gericht vorgegebenen Hörigkeit gegenüber dem Incubus[35]. Anna Mauzin wurde schließlich des Diebstahls und der Brandstiftung sowie dämonischer Malefizien für schuldig befunden, am 16. Oktober 1600 erst mit dem Schwert enthauptet und anschließend verbrannt. Anna Kreglin dagegen, von „Anna Mauzin […] zur hexen gemacht“, wurde ob dieser Denunziation bei lebendigem Leib verbrannt.

Apolonia Theurer aus Wurmlingen, etwa 30 Jahre alt, verheiratet und Mutter von vier Kindern, war ein Sozialfall. Die ärmlichen Lebensumstände mögen mit ein Grund für das Scheitern ihrer Ehe gewesen sein, vielleicht wurde sie auch von ihrem Ehemann misshandelt, jedenfalls waren die ständigen Streitereien zermürbend und Apolonia Theurer war psychisch am Ende. Der Amtsschreiber notierte in der Urgicht, sie „seye vor 4 Jahren durch den Wald heim gangen, traurig gewesen wegen der theurung, das sie ire Kinder nicht erneeren köndte, sei einer in schwarzen kleidern einen mantel angehabt, zu ir komen und sie gefraget was iro anligen, das sie so traurig? Sie ime geantwortet, sie habe 4 Kinder und einen besen man, darzue köndte die kinder nit ernehren.“[36] Für das Magistratsgericht waren dies, neben weiteren für den Prozessverlauf typischen Geständnissen, bereitwillig geglaubte Bekenntnisse, und so wurde Apolonia Theurer der Hexerei für schuldig bekannt, verurteilt und am 27. Juli 1601 exekutiert und verbrannt.

Agnesa Birlinger schließlich, die „verlassene Witwe“ des Georg Hartmann, gehörte aufgrund ihres Familienstandes zu einer gesellschaftlichen Gruppe, die der Hexenverfolgung in besonderem Maß ausgesetzt war. Neben all den anderen Vorwürfen, denen sich auch die o. g. Frauen ausgesetzt sahen, wurde Agnesa Birlinger auch des Wetterzaubers angeklagt – Wetterschäden wurden unmittelbar mit Hexerei in Verbindung gebracht. Agnesa Birlinger wurde am 27. Juli 1601 hingerichtet – vorher hatte auch sie unter der Folter mehrere Frauen aus der Umgebung denunziert.

[1] Johannes Dillinger, Die Hexenverfolgung in der Landvogtei Schwaben im 16. und 17. Jahrhundert. In: Andreas Schmauder (Hg.), Frühe Hexenverfolgung in Ravensburg und am Bodensee. Konstanz und München 22017, S. 125.

[2] Vgl. Böse Leute‘. Hexenverfolgung in Schwäbisch-Österreich und Kurtrier im Vergleich. Trier 1999, S. 234-239.

[3] Der württembergische König Friedrich verbot 1809 (23. April) die Folter im Land, zwei Jahre später (27. April 1811) verfügte er den Abbruch aller öffentlichen Galgen. Angeblich widerte ihn der Geruch Hingerichteten an, die zur Abschreckung so lange am Galgen hängen gelassenen wurden, bis sie verwest von selbt herabfielen und einen entsetzlichen Gestank verbreiteten. Vgl. Schuberth, S. 106.

[4] Wofgang Behringer, Hexen Glaube, Verfolgung, Vermarktung. 6., durchgesehene Auflage 2016, S.

[5] Ebd.

[6] Sönke Lorenz, Hexen und Hexenprozesse im deutschen Südwesten – eine Einführung. In: Andreas Schmauder (Hg.), Frühe Hexenverfolgung in Ravensburg und am Bodensee. Konstanz 2001, S. 2.

[7] Ebd., S. 9.

[8] Dillinger, Hexenverfolgung, S. 131

[9] Ebd., S. 127.

[10] Nachdem die hohenbergische Regierung in Innsbruck von Beamten der Landvogtei Schwaben um allgemeine Richtlinien zum Umgang mit Hexen bzw. zur Abrechnung der Verfahrenskosten in Hexenprozessen gebeten worden war, erließ sie zwar am 26. Oktober 1620 den für alle ihre Territorien gültigen Befehl, nicht nur die Prozesskosten aus dem Vermögen der Verurteilten zu bestreiten, sondern auch deren gesamte Hinterlassenschaften zu konfiszieren. Vgl. Tiroler Landesarchiv Innsbruck, Causa Domini, Bd. 22m fol 146v – 147r und Hauptstaatsarchiv Stuttgart, B 19, Bd. 7, fol, 140r. Doch keine zwei Monate später rückte die Landesregierung hiervon wieder ab und forderte die Amtsträger in Hohenberg auf, über die bislang übliche Abrechnung in Bezug auf die Kosten in Hexenprozessen Auskunft zu erteilen.

[11] Ebd., S. 127.

[12] Ebd.

[13] Vgl. Sönke Lorenz, Der Hexenprozeß. In: Ders. (Hg.), Hexen und Hexenverfolgung im deutschen Südwesten. Ostfildern 1994, S. 67-84.

[14] Vgl. Wolfgang Behringer, Zur Haltung Adam Tanners in der Hexenfrage. In: Hartmut Lehmann / Otto Ulbricht (Hg.), Vom Unfug des Hexen-Processes: Gegner der Hexenverfolgung von Johann Weyer bis Friedrich Spee. Wiesbaden 1992, S. 161-183.

[15] W. Westenhofer, Die Reformationsgeschichte von einem Barfüßermönch. Leipzig 1882, S 87.

[16] Hannes Weik, Hexenwerk oder Gottes Zorn? Hexenverfolgungen in Südwestdeutschland im Kontext der „Kleinen Eiszeit“ (1560-1630). o. O. 2013, S. 12.

[17] Dillinger, Hexenverfolgung, S. 136.

[18] Weik, S, 12.

[19] Ebd.

[20] Vgl. Karl Kempf, Hexenverfolgung in Rottenburg. In: Sönke Lorenz und Dieter R. Bauer (Hg.), Hexenverfolgung. Beiträge zur Forschung unter besonderer Berücksichtigung des süddeutschen Raumes. Würzburg 1995, S. 175. Kempf skizziert anhand von 47 Urgichten sowie Tagebuchnotizen des Crusius die sozialpsychologiosche Komponente des Hexenglauens und die Genese der Hexenvefolgung „vor Ort“. Er verweist auf die quantitative Konzentration vonHexenprozessen auf die Zeit um 1600 und stellt seine Ergebnisse in tabellarischer Form zusammen und arbeitet zahlreiche Auszüge aus Verhörprotokollen in Form von Zitatetn in den Text ein.

[21] Vgl. Winfried A. Bolter, Hexe und Hexenverfolgung in Wurmlingen. In: Karlheinz Geppert (Hg.): 900 Jahre Wurmlingen – Vom Dorf am Fuße der Kapelle. Rottenburg am Neckar und Wurmlingen 2000, S. 254.

[22] Ebd., S. 255.

[23] Dillinger, Hexenverfolgung, S. 129. Vgl. Ders., ‚Böse Leute‘, S. 54-59.

[24] Vgl. Dillinger, Hexenverfolgung, S. 129.

[25] Ebd., S. 130.

[26] Von lat. malum facere: Böses tun.

[27] Urgichten sind die Aufschriebe des Geständnisses in den Hexenprozessen, das durch Folter, verschleiernd peinliche Befragung genannt, erpreßt wurde.

den Opfern die erwünschten Schuldbekenntnisse (Urgichten)

[28] Bolter, S. 256.

[29] Vgl. Hirschau – Erd-, Landschafts- und Ortsgeschichte, S. 92f.

[30] Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS), B 40, Bü 543.

[31] Dieses und alle folgenden Zitate zu Anna Mauzin und Anna Kreglin entnommen bei: Anton Birlinger, Aus Schwaben – Sagen, Legenden, Aberglauben, Sitten und Rechtsbräuche. Wiesbaden 1874, S. 137ff.

[32] Bolter, S. 257f. Die Fälle der Anna Mauszin, Anna Kegreisen, Apolonia Theurer und Agnes Bürlinger sind gut dokumentiert bei Bolter, S. 257-267, es wird daher darauf verzichtet, an dieser Stelle auf alle Einzelheiten und Hintergründe einzugehen.

[33] Vgl. Bolter, S. 257.

[34] Quelle?

[35] In der spätmittelalterlichen Hexenliteratur war der Incubus der Buhlteufel einer Hexe im Unterschied zum Subcubus, der weiblichen Teufelsgestalt für den Umgang mit männlichen Zauberern.

[36] Zitat zu Apolonia Theurer entnommen bei: Birlinger, Aus Schwaben, S. 135f.

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